Die anthropo-
ökologische Sicht

Jeder Mensch, ob Patient oder Therapeut, ist eine eigenständige Person, die als Akteur in einem individuellem Umfeld agiert. Diese Person muss mehrdimensional und komplex betrachtet werden.

Es lassen sich verschiedene Dimensionen definieren. Dabei sind genetische und epigenetische Elemente, aber auch die gesamte Sozialisation wichtig. Es kristallisieren sich folgende Oberbegriffe heraus: Verantwortung, Nützlichkeit, Kontext, Fähigkeit/Kapazität und Anpassungsfähigkeit. Diese 5 Dimensionen mit ihren jeweiligen Untergruppen formen und gestalten jede Person.

Im Umkehrschluss muss daher bei der osteopathischen Anamnese an diese Vielfalt gedacht werden – nicht in jedem Einzelfall, aber vor allem bei komplexen Krankheitsbildern. Die anthropo-ökologische Sicht ist eine der Voraussetzungen für ein modernes Verständnis der Osteopathischen Medizin.

  

Die Rolle der Unsicherheit in der OM

Unsicherheit ist eingebettet in unsere gesamte Lebensreise. Unsicherheit erzählt über unsere Beziehung zu unserer Umwelt und, wie unser Körper in geeigneter Weise auf diese Herausforderungen reagiert. Wie bereiten wir uns auf die Herausforderungen vor? Wie adaptieren wir uns an eine sich ständig ändernde Umwelt?

 

Wissen versus Sicherheit:

Nach Wittgenstein sind Wissen und Sicherheit verschiedene Kategorien. Wittgenstein argumentiert: Wenn jemand sagt, “ich weiß, dies ist meine Hand” dann ist dies nicht eine Sicherheit, die wir kognitiv erworben haben. Diese Art von Sicherheiten bilden ein Setting “objektiver Sicherheiten”, die die Basis des Handelns bilden, nicht die des Wissens. Wittgenstein vergleicht dies mit einem Scharnier, das in Position bleibt, damit die Tür sich öffnen kann.

Sicherheit erlaubt uns zu handeln, nicht zu wissen. Sicherheit erlaubt uns zu erleben, mehr als zu verstehen. Diese Sicherheiten sind nicht nur für mich wahr, sondern auch für die Menschen in meiner Umgebung und zusammen mit anderen Sicherheiten bilden sie ein kohärentes Ganzes – meine Weltsicht.

 

Was ist die Aufgabe des osteopathischen Arztes/Therapeuten?

Im Hinblick auf die Unsicherheit ist der Arzt/Therapeut zuallererst derjenige, dem man als erstes und am meisten vertraut. Der Schlüssel, um Vertrauen zu gewährleisten, und die Situation in geeigneter Weise und angemessen zu managen, ist die Unsicherheit im Patienten zu verstehen. Nicht eine Unsicherheit in der Wahrheit- nicht zu wissen, was los ist, sondern eine praktische Unsicherheit der verlorenen Sicherheit in den eigenen Körper – nicht zu wissen wie. Patient und Therapeut müssen diesen Weg gemeinsam gehen.